Fragen, die unter die Haut gehen
Das Ein-Personen-Theaterstück „Abgerungen“ berührt
Ein Theaterstück, das Schulen, Bildungsträger, Pfarrgemeinden und andere Einrichtungen helfen kann, Menschen persönlich anzusprechen und miteinander ins Gespräch zu bringen. Erzählt wird das Leben des Pallottiners Richard Henkes. Im KZ Dachau ließ er sich mit den Kranken und Sterbenden in eine unter Quarantäne gestellte Typhus-Baracke einsperren. Bereit, für seine Mithäftlinge zu sorgen, Menschlichkeit und Licht in diese aussichtslose Situation zu bringen. Nach gut 9 Wochen infiziert er sich und stirbt.
„Die Begegnung mit diesem Märtyrer der Nächstenliebe fordert auch heute heraus – sie inspiriert, ermutigt und bestärkt“, ist das Team der WeG-Initiative „Glaube hat Zukunft“ (Pallottiner – Vallendar) überzeugt. So entstand mitten im Corona-Lockdown das Projekt „Haltung heute“.
Das Stück geht unter die Haut. Mehrfach wendet sich der Schauspieler an die Zuschauer: „Würden Sie sich einer ansteckenden tödlichen Krankheit aussetzen, um sterbende Menschen nicht allein zu lassen?“ – „Glauben Sie so an Gott, dass Sie sich ihm ganz anvertrauen können.“ Wohl wissend um das Risiko, tat der 2019 seliggesprochene Richard Henkes beides.
Das von Boris Weber (Neuwied) zur Seligsprechung verfasste Schauspiel ist nicht nur angesichts von Corona aktuell – die Themen und Fragen des Stückes wie Wahrheit, Menschenwürde und Mitmenschlichkeit, gehören einfach zentral zum Leben. Mit dem Koblenzer Schauspieler Bruno Lehan geht das neu inszenierte Theaterstück jetzt wieder auf Tour.
Neben diesem gibt es auch die Ausstellung „MEHR LEBEN ENTDECKEN“. Sie liefert nicht Lebensdaten von Henkes, sondern lädt den Besucher – meist interaktiv – zur Beschäftigung mit dessen Lebensthemen ein. „Beide Projekte regen nicht nur zum Nachdenken über unser menschliches Leben, über Glück, Werte und Haltungen an, sie lassen die Besucher auch schnell miteinander ins Gespräch kommen“, erläutert P. Hubert Lenz SAC, der Leiter der WeG-Initiative.
Handreichungen für Gespräche
Nach der Corona-Pause wurde das neu inszenierte Stück Mitte Juni zunächst in Dachau und Freising aufgeführt. Ab September soll es dann „richtig“ an den Start gehen. „Wer es bucht, wird nicht allein gelassen. Es gibt Anregungen zum Austausch und zur weiteren Beschäftigung mit der angesprochenen Thematik. Auch für Schulen gibt es Unterrichtsideen und Materialien“, erläutert Sonja Kirst. „Unser Team hat die Corona-Zeit genutzt, einiges überdacht, Neues erstellt und 2/3 der Ausstellung verdoppelt. So kann diese an zwei Orten gleichzeitig gezeigt werden“, freut sich die Projekt-Leiterin von „Haltung heute“.
Auftakt in Dachau
„Für den Neustart nach der Corona-Pause gibt es keinen besseren Ort“, sagte Pater Lenz vor der Aufführung, die am Rande der KZ-Gedenkstätte – im Vorhof des dortigen Karmel-Klosters – stattfand. „Hier starb Henkes, der in der NS-Zeit dem Regime die Stirn bot, sich immer wieder für Versöhnung und Mitmenschlichkeit einsetzte und zuletzt freiwillig in die Typhusbaracke ging.“
Unweigerlich erfährt sich der Besucher persönlich angesprochen, berührt und mitgenommen, wenn er hört, dass sich der Pallottiner für Menschen einsetzte, die er gar nicht kannte. „Könnte ich das, wollte ich das?“, fragt der Schauspieler sich und die Zuschauer. Und ebenso unweigerlich kommen in den Anwesenden eigene Fragen hoch – etwa: Wie schenke ich anderen Hoffnung? Wie gebe ich Vertrauen weiter, wenn ich selbst Angst habe? Wie würde ich entscheiden?
Einer der Höhepunkte des Stücks ist eine fiktive Predigt. In ihr fragt Henkes im Blick auf das Euthanasieprogramm eindringlich: „Wer ist krank und wer ist gesund?“ und bezeichnet „die Missachtung der Menschenwürde und der Mitmenschlichkeit als die wahre Krankheit.“ Damit prangert er nicht nur die Unmenschlichkeit des Nazi-Regimes an, sondern lässt auch die Zuhörer den eigenen Umgang mit Menschlichkeit und Menschenwürde in den Blick nehmen: „Ein ‚gesunder‘ Mensch erkennt in seinem Mitmenschen dessen Wert und unantastbare Würde und setzt sich dafür ein.“
Worte voller Wucht
Gefragt, welche Stelle ihn als Schauspieler am meisten angesprochen habe, sagt Bruno Lehan: „Es ist der Moment, in dem Henkes, der lebenslang gerungen hat, darüber klagt, dass er nun wegen dieses menschengenmachten Elends erneut mit Gott ringen müsse“. Wieviel Elend menschengemacht sei, erschrecke auch ihn. Umso wunderbarer findet er dann, dass Henkes immer wieder die Möglichkeit einer positiven Wendung in Aussicht stellt. „Henkes ist nicht perfekt“, sagt Lehan, „er fängt ganz klein an und kennt auch den Zweifel. Es gibt keine sofortige Lösung. Und trotzdem haben Henkes Worte eine Wucht.“
Liegt hierin auch der Grund, dass das Publikum nach einer Aufführung oft lange braucht, um diese Wucht der Worte wirken zu lassen, ehe der erlösende Applaus aufbrandet? Die Fragen bleiben unter der Haut.
Alexander Schweda / Andrea Windirsch
Dachau
Freising
Bruno Lehan, Koblenz