„Abgerungen“ im Gefängnis – eindrückliche Erfahrungen

In den letzten Wochen waren wir mit dem Solo-Theater-Stück in den Justizvollzugsanstalten Trier und Wittlich zu Gast. Aufgeführt wurde das Stück vor Gefangenen und einigen Gästen. Wir waren wegen der besonderen Orte sehr gespannt, wie die Resonanz sein wird und dann überrascht, denn diese übertraf unsere kühnsten Erwartungen.

Beide Aufführungen waren von hoher Aufmerksamkeit und emotionaler Betroffenheit gekennzeichnet, die von einigen der Gefangenen durchaus gezeigt und ins Wort gebracht wurde.

Aber lassen wir einige Beteiligte selbst zu Wort kommen:

Thomas Reichert (Gefängnisseelsorger):

Aufführung in der JVA Trier:

Das Stück ging unter die Haut. Die Gefangenen waren sehr aufmerksam und konzentriert dabei. Die Erwartung einiger Gefangener war, dass etwas Lustiges präsentiert wird. Das assoziierten sie mit dem Begriff “Theater”. Dennoch fanden sie die Veranstaltung gut. Es gelang gut, eine Brücke zwischen dem Stück und der Situation der Inhaftierten zu schlagen.
Daher ist ein kurzes Abfragen der Stimmungen nach der Aufführung notwendig, damit die Gefangenen nicht mit ihren aufgewühlten Emotionen einfach so in den Haftraum zurückgehen. Ich habe auch noch eine Nachbesprechung angeboten.

Aufführung in der JVA Wittlich
Ca. 30 Inhaftierte und einige Gäste von außerhalb der Anstalt nahmen teil. Hochkonzentriert und emotional beteiligt war die Atmosphäre. Im Nachgespräch kam die emotionale Betroffenheit sehr eindrucksvoll zum Vorschein, insbesondere in einem Redebeitrag eines Inhaftierten. Werden doch im Haftalltag Emotionen eher öffentlich nicht gezeigt, wurde hier in dem geschützten Raum deutlich, wie es im Inneren mancher Inhaftierter aussieht. Emotionen wurden nicht belacht, nicht mehr als Schwäche interpretiert, sondern spornten an, sich mit dem Betroffenen zu beschäftigen. Es tat sich ein Erfahrungsraum auf, der sonst nicht üblich ist. Ein hervorragender Impuls an diesem besonderen Aufführungsort! Bin gespannt auf die Gespräche in den nächsten Tagen…

Prof. Dr. Martin Lörsch (Prof. für Pastoraltheologie, hält regelmäßig Gottesdienst im Trierer Gefängnis):

Ein starker Eindruck, der bleibt – bei den Häftlingen wie auch bei mir! Herzlichen Dank für die Möglichkeit zur Teilnahme – in dem mir vertrauten Rahmen der JVA- Kapelle Trier. Die Gefangenen waren mucksmäuschenstill – die meisten ganz, die anderen bis fast zum Ende. 

Anja Gläßer, Technik und Begleitung (Team der WeG-Initiative) in der JVA Trier:

Zum ersten Mal in einer Justizvollzugsanstalt und dann noch mit so einem tiefgründigen Thema, da habe ich mir schon Gedanken gemacht. Da die Aufführung in der Kapelle des Gefängnisses stattfand und die begleitenden Justizvollzugsangestellten sehr freundlich waren, konnte ich die Aufführung und die Besucher sehr gut wahrnehmen.
Ein Großteil der Inhaftierten war recht jung (zw. 25 u. 30 J.) – das hat mich überrascht. Ich vermute, dass das Stück in so gut wie jedem innerlich etwas angestoßen bzw. ausgelöst hat. Überrascht und gefreut hat mich, dass diese tiefe Auseinandersetzung mit Gott, Glaube und Leben – wie es im Stück passiert – kein “Lustig machen” darüber bei den Insassen hervorrief.
Diese Aufführung war ein gutes Erlebnis, was mich ermutigt, auch weiter dahin zu gehen, wo Glaube scheinbar so wenig “zählt”, und doch wahrgenommen wird. 

Sonja Kirst (Projektleiterin von Haltung heute) – begleitete den Schauspieler in der JVA Wittlich:

Die Gefangenen waren von Anfang bis Ende sehr aufmerksam und trotz der nach außen gezeigten „Pokerfaces“ war spürbar, dass sie angesprochen wurden.
Besonders am Ende des Stückes zeigte sich dies. Zum ersten Mal habe ich erlebt, dass alle Zuschauer dem Schauspieler mit den Augen folgten und sich umdrehten. Vermutlich war das für die Gefangenen ein sehr intensiver Moment, denn dieser Gang ins Eingesperrt-Werden war ihnen nur zu gut bekannt. Um diese gefühlte Enge wieder abstreifen zu können, folgte ganz schnell kräftiger Applaus.

Ich war mal wieder ganz begeistert von Bruno Lehans Darstellung und seiner Fähigkeit, bei den Zuschauenden jede noch so kleine Reaktion wahrzunehmen und diese dann gezielt mit seinem Ausdruck “anzuspielen” – ohne dabei die anderen aus dem Blick zu verlieren.

Die im anschließenden Austausch gestellten Fragen nach der Motivation und dem Alltag des Schauspielers deute ich als einen Ausdruck von Sehnsucht nach Normalität und auch nach Sinn.
Daneben beeindruckte auch der emotionale und  tränenreiche Beitrag eines Gefangenen über seine Not und seine Schuld. Spontan legte ihm ein hinter ihm sitzender Mitgefangener  tröstend die Hand auf die Schulter. Angesprochen auf seine Geste meinte dieser ganz lapidar: “Wir haben es ja eben gehört: auf die  Mitmenschlichkeit kommt es an – und die gibt es hier eben auch!”
Es sind diese Haltungen, die das Miteinander menschlich und lebenswert machen – egal ob in der Schule, auf der Arbeit, in der Kirche oder eben im Gefängnis.

Wir haben die berechtigte Hoffnung, dass  die JVA Trier und Wittlich nicht die letzten Orte waren,  in denen „Abgerungen“ aufgeführt wurde – bei bestehendem Interesse soll die Veranstaltung nicht an den Finanzen scheitern.*  

Andrea Windirsch

Bildnachweis: Pixabay

* mehr Informationen zu den Kosten und Zuschüssen für Aufführungen in Justizvollzugsanstalten: hier
Die Stiftung „HALTUNG heute“ dankt schon jetzt allen, die mithelfen, dass das Stück an vielen Orten aufgeführt werden kann. Wer dies unterstützen möchte, kann dies durch eine Spende an die Stiftung tun.
Weitere Informationen und Kontoverbindung: hier – Stichwort „Theater im Gefängnis