ABGERUNGEN beim Fest der Begegnung in Friedberg: Theater, das unter die Haut geht

Es war mehr als ein Fest der Begegnung: Der Tag der offenen Tür in Pallotti-Haus, -Park und -Kirche brachte Hunderte von Menschen ins Gespräch untereinander und mit den Pallottinern. Und es wurde zugleich zum Aufruf, mit Glauben, Vertrauen und Einsatz, sich den Krisen unserer Zeit zu stellen und den Ruf Gottes dabei zu hören, wie Provinzial Pater Markus Hau in seiner Predigt betonte. Ein zentraler Anziehungspunkt für dieses Thema war das Ein-Mann-Stück „Abgerungen“.

„Der Himmel beginnt, wenn Menschen sich einbringen und von Gott rufen lassen“, legte Provinzial Pater Markus Hau im Festgottesdienst das Sonntagsevangelium von den Arbeitern im Weinberg aus. Die Menschheit sei an einem Scheidepunkt angelangt, zitierte Pater Hau Papst Franziskus: Entweder erreichten wir mehr Geschwisterlichkeit oder wir gingen dem Untergang entgegen. Pandemie, Ukraine-Krieg und Klimakatastrophe, dies alles seien unsere Prüfungen, so der Provinzial und fügte hinzu: „Nehmen wir sie an.“ Denn es gehe um das Himmelreich.

Ein Höhepunkt des Tages war die zweimalige Aufführung des Theaterstücks „Abgerungen“ über den Pallottinerpater Richard Henkes. Und es ist ein Theaterstück, das unter die Haut geht: Erzählt wird das Leben des Pallottiners Richard Henkes. Im KZ Dachau ließ er sich mit den Kranken und Sterbenden in eine unter Quarantäne gestellte Typhus-Baracke einsperren. Bereit, für seine Mithäftlinge zu sorgen, Menschlichkeit und Licht in diese aussichtslose Situation zu bringen. Nach gut neun Wochen infiziert er sich und stirbt. Wie als hätte der Schauspieler und Autor Boris Weber die Worte des Provinzials zu Beginn gehört, rief er ins Friedberger Publikum: „Wollte ich mein Leben derart in den Dienst einer anderen Sache stellen?“

„Die Begegnung mit diesem Märtyrer der Nächstenliebe fordert auch heute heraus – sie inspiriert, ermutigt und bestärkt“, sagt Pater Hubert Lenz, der mit seinem Team der WeG-Initiative „Glaube hat Zukunft“ (Pallottiner – Vallendar) das Stück auf den Weg gebracht hat. Inzwischen hat sich daraus das Projekt und die Stiftung „Haltung heute“ entwickelt, die Menschen über das Leben und seine existentiellen Fragen über das Stück und die dazugehörige Ausstellung miteinander ins Gespräch bringen will.

Das Stück mit dem Titel „Abgerungen“ spricht die Zuschauer direkt an. Die Handlung: Ein Schauspieler soll über Pater Richard Henkes ein Stück schreiben und reflektiert dabei den Stoff. Mehrfach wendet sich der Schauspieler an das Publikum: „Würden Sie sich einer ansteckenden tödlichen Krankheit aussetzen, um sterbende Menschen nicht allein zu lassen?“ – „Glauben Sie so an Gott, dass Sie sich ihm ganz anvertrauen können?“ Wohl wissend um das Risiko, tat der 2019 seliggesprochene Richard Henkes beides.

Wahrheit, Menschenwürde und Mitmenschlichkeit

Das von Boris Weber (Neuwied) zur Seligsprechung verfasste Schauspiel ist aktuell – die Themen und Fragen des Stückes wie Wahrheit, Menschenwürde und Mitmenschlichkeit, gehören einfach zentral zum Leben. Unweigerlich erfährt sich der Besucher persönlich angesprochen, berührt und mitgenommen, wenn er hört, dass sich der Pallottiner für Menschen einsetzte, die er gar nicht kannte. „Könnte ich das, wollte ich das?“, fragt der Schauspieler sich und die Zuschauer. Und ebenso unweigerlich kommen in den Anwesenden eigene Fragen hoch – etwa: Wie schenke ich anderen Hoffnung? Wie gebe ich Vertrauen weiter, wenn ich selbst Angst habe? Wie würde ich entscheiden?

Einer der Höhepunkte des Stücks ist eine fiktive Predigt. In ihr fragt Henkes im Blick auf das Euthanasieprogramm eindringlich: „Wer ist krank und wer ist gesund?“ und bezeichnet „die Missachtung der Menschenwürde und der Mitmenschlichkeit als die wahre Krankheit.“ Damit prangert er nicht nur die Unmenschlichkeit des Nazi-Regimes an, sondern lässt auch die Zuhörer den eigenen Umgang mit Menschlichkeit und Menschenwürde in den Blick nehmen: „Ein ‚gesunder‘ Mensch erkennt in seinem Mitmenschen dessen Wert und unantastbare Würde und setzt sich dafür ein.“ Am Schluss des Stücks herrschte in der Friedberger Pallotti-Kirche erst einmal Schweigen, Betroffenheit, Stille, bis begeisterter Applaus aufkam.

Text: Alexander Schweda
Bilder: Pallottiner Friedberg